Gerade kam die gezeigte Email in unser Labor geflattert. Was sind wir stolz und freuen uns unfassbar!! Unser Grinsen ist so breit, dass wir morgen bestimmt Muskelkater haben uns uns manch einer heute Nachmittag beim Einkaufen für grenzdebil oder betrunken halten wird.
Aber um was ging es?
In einem gut sortierten Musikgeschäft war eingebrochen worden und insgesamt fast 50 Musikinstrumente im Wert von über 150.000 Euro waren verschwunden. Jemand hatte die Eingangstür aufgebrochen, die Registrierkasse geöffnet, die dort befindlichen 82,50 Euro entnommen und die genannten Instrumente aus dem Laden geschafft. Die Polizei wurde informiert und begutachtete den Tatort. Im Rahmen dessen fertigten sie drei DNA-Abriebe an; einen davon von der Lade der Registrierkasse. Und von diesem ergab sich ein vollständiges genetisches Profil eines Mannes. Man ermittelte hier und dort und fand schließlich einen Mann mit genau demselben Merkmalsmuster. Die Statistik ergab, dass nur einer von 2,3 Quadrillionen Menschen diese Merkmalskombination besitzt. (Eine Quadrillion ist eine 1 mit 24 Nullen!).
Damit war die Sache für die Staatsanwaltschaft klar und ein Haftbefehl wurde erlassen für einen 84-jährigen (!) Musiker, der regelmäßig Kunde in diesem Geschäft gewesen ist. Dieser sei eindeutig als Täter festgestellt und es gäbe absolut keine andere Möglichkeit, als dass diese DNA-Spur von ihm stammte und auch von ihm beim Öffnen der Kasse dort aus Versehen platziert worden ist.
Der ältere Herr fiel aus allen Wolken und leugnete vehement die Vorwürfe, aber die Anklage blieb hart und brachte zusätzlich seine kleine Rente ins Spiel. Mit so wenig Geld könne er gar nicht zurechtkommen, so dass der Diebstahl der Musikinstrumente eine logische Konsequenz aus seinen nicht-rosigen Verhältnissen sei. Sogar der Anwalt, den er sich sofort nahm, glaubte ihm nicht wirklich bzw. konnte der Aussagekraft dieser DNA-Spur mit ihren 2,3 Quadrillionen nichts entgegensetzen. Er riet seinem Mandanten, den Einbruch weiterhin zu leugnen, aber zu gestehen, dass er zufällig die geöffnete Tür des Geschäftes gesehen habe, in selbiges hineinging und dann, wo er schon einmal unbeobachtet drinnen war, das Geld aus der Kasse gestohlen habe. Damit sei die Anwesenheit seiner DNA an der Kasse erklärt und ihn würde keine allzu große Strafe erwarten. Auf jeden Fall gäbe es keine andere Möglichkeit; die DNA lügt nie.
Glücklicherweise ließ er sich nicht darauf ein, wechselte den Anwalt und beriet sich mit seiner Frau und vielen guten Freunden. Man kam auf die Idee, dass die DNA-Spur möglicherweise durch eine DNA-Verschleppung zu erklären sein könnte. Der Mann war seit Jahren Kunde in dem Geschäft, hatte viel Zeit dort verbracht, viele Dinge gekauft und immer wieder Instrumente ausprobiert. Beim Austesten von z.B. Posaunen werden im Anschluss die gebrauchten Mundstücke auf den Tresen abgelegt und mit einem Lappen abgewischt. Beim Spielen können massive Speichelspuren entstehen; eigentliche würde schon ein ordentliches Niesen ausreichen, um einige ordentliche DNA-Spuren auf dem Tresen zu platzieren. Diese können problemlos weitergetragen und z.B. von dem Besitzer oder einem Angestellten von dort an die Kasse übertragen werden.
Das Ehepaar beantragte ein Gutachten bei uns mit der Frage, ob und wenn ja, wie die DNA von dem Mann an die Kasse hätte kommen können. Also erstellten wir eine Zusammenfassung der neuesten Studien zum Thema DNA-Kontamination und -Transfer und setzten diese Möglichkeiten in direkten Bezug zu dem vorliegenden Fall; erläuterten, wie, wo und warum DNA weitergetragen werden kann, recherchierten zum Gebrauch von verschiedenen Musikinstrumenten und kamen zu dem Ergebnis, dass die Schlussfolgerung der Staatsanwaltschaft – „die Spur zeigt eindeutig, dass Herr XY der Täter ist“ – absolut nicht korrekt ist. 14 Seiten Text, Fotos von Instrumenten, Erläuterungen und Schemata und insgesamt ganz schön viel Arbeit reichten aus für diese tolle Nachricht. Freispruch!
Und selbst jetzt beim Schreiben wird das Grinsen noch ein bisschen breiter! Wir freuen uns so sehr für das Ehepaar, beglückwünschen sie zu ihrem Durchhaltevermögen und wünschen Ihnen nach so viel Aufregung eine wunderschöne ruhige und friedliche Erholungszeit.
Und uns zeigt dieser Fall genau das, was wir immer wieder sagen: nur eine Spur, ein Nachweis allein reicht nicht, man muss die Umstände kennen und vorsichtig beim Interpretieren von „DNA-Beweisen“ sein.
In diesem Sinne, wir gehen jetzt einen Sekt trinken.
Euer zutiefst begeistertes ForGen-Team

ForGen und die Frage nach der Tat-relevanten Spur!