Zum Interview „Hund, Katze, Lama? Der Wolf war`s. Das vermuten viele Nutztierhalter, wenn sie tote Schafe auf ihren Weiden finden. Der Biologe Carsten Nowak erklärt, warum der Nachweis schwerer ist, als Laien glauben.“

 

In dem genannten Bericht wird Dr. Carsten Nowak, der Koordinator des nationalen Referenzzentrums für genetische Analysen großer Beutegreifer, interviewt. Dieser arbeitet seit Jahren im Bereich der Wildtiergenetik und untersucht Proben aus Feld und Flur, die dem Monitoring wildlebender Tiere dienen.

Hier wird er nun zu einem Fall befragt, der sicherlich nicht in das Aufgaben- und Kompetenzspektrum dieses Labors fällt, aber in diesem tatsächlich bearbeitet wurde. Forensische Untersuchungen werden in Deutschland von speziellen Laboren durchgeführt, die zahlreiche Bedingungen und Qualitätskriterien erfüllen müssen und wo entsprechend geschulte Mitarbeiter tätig sind, die eine aufwändige forensische Ausbildung detailliert nachweisen müssen, um überhaupt forensische Proben gerichtsfest und mit lückenloser Beweiskette untersuchen zu dürfen.

Dem Spiegel fällt nicht auf, dass hier ein großes Wildtiergenetiklabor, das weder über die nötige Organisation, noch die Logistik oder die angesprochene Ausbildung verfügt, Untersuchungen durchführt, die so überhaupt nicht in ihren Kompetenzbereich fallen? Zitat Herr Dr. Nowak: „Wir sind hier recht seltsame Proben gewohnt, aber ein Pullover und ein Hammer waren für uns als Wildtierforscher neu.“ Und niemandem fällt auf, warum das so ist?

Dabei geht es speziell um einen Fall, in dem ein Mensch angibt, von einem großen Tier, möglicherweise einem Wolf, angegriffen worden zu sein. Hinter diesem Fall steckt große Bedeutung und Brisanz. War es tatsächlich ein Wolf? Dann wäre es der erste, gesicherte Fall eines Wolfsangriffes auf einen Menschen in Deutschland. Dies würde mit Sicherheit die Forderung nach sofortiger Entnahme dieses Wolfes mit sich ziehen. War es lediglich ein Hund, sollte auch hier festgestellt werden, wer seinen Hund herumlaufen und andere Menschen verletzen lässt. Ein Schaden ist entstanden und der Hundehalter wäre entsprechend dafür verantwortlich.

Im Normalfall würde ein Arzt die Wunden beurteilen, bestenfalls würde ein Rechtsmediziner eine gerichtsfeste Dokumentation der Verletzungen durchführen und ein Gutachten erstatten, das sich der Frage widmet, ob das festgestellte Verletzungsmuster tatsächlich von einem Wolf/Hund verursacht worden sein könnte. Zusätzlich hätte dieser Arzt dafür gesorgt, dass fachgerecht Proben von den Wunden für eine Untersuchung auf tierische DNA (und damit zur Feststellung des „Täters“) entnommen werden und er hätte die weiteren potentiellen Spurenträger (hier Hammer und Pullover) vernünftig gesichert und einer spurentechnischen Untersuchungen zukommen lassen, bzw. sie der Polizei mitgegeben. Das anschließend beauftragte Labor hätte eine forensische Untersuchung unter Einhaltung aller Qualitätskriterien durchgeführt und als Ergebnis ein transparentes Gutachten erstattet, dem alles zu entnehmen ist, was für eine Anerkennung im Gerichtsfall nötig wäre.

Nun aber kommt es. Zumindest ist es so in verschiedenen Artikeln nachzulesen: Mitarbeiterinnen vom Umweltamt (?) kommen vorbei und nehmen Pullover und Hammer mit, um diese nach Gelnhausen zum Senckenberg-Labor zu bringen oder bringen zu lassen. Forensische Experten wissen, dass die Spurenuntersuchung schon hier ansetzt. Wie wurden die Spurenträger verpackt? Wie sauber ist die Umverpackung? Wurde der Pullover gefaltet, dass sich möglicherweise Spuren von einem Bereich des Kleidungsstückes auf den anderen übertragen haben? Wo werden die verpackten Spurenträger gelagert? Im Auto der Mitarbeiterinnen? Wie ist gesichert, dass nicht außen an die Verpackungen kontaminierende DNA anderer Tiere gelangen kann? Wie werden die Spurenträger im Wildtierlabor ausgepackt? Allein dafür muss ein forensisches Labor schon eine Standardarbeitsanweisung vorlegen („Umgang mit Spurenträger und Proben“). Und jeder Forensiker weiß, dass die Frage der „tatrelevanten Spur“ sehr komplex und nur schwer zu beantworten ist. Mittlerweile gibt es hunderte wissenschaftlicher Veröffentlichungen zur Thematik des DNA-Transfers und der tatrelevanten Spur. Auch die Kenntnis dieser Arbeiten und eine stete Fortbildung in diesen Bereichen muss ein anerkannter Forensiker nachweisen. Aber selbst, wenn angenommen würde, dass Asservierung und Transport vernünftig durchgeführt wurden, gibt es weitere Gründe, warum diese Untersuchungen nur in entsprechenden Laboren durchgeführt werden sollten.

In die gleiche Problematik fallen nämlich Aussagen des Wildtierbiologen wie „Bei unseren Witterungsverhältnissen zerfällt Erbsubstanz relativ schnell“. Oder auf die Frage, warum DNA-Proben aus dem Freiland so viel schwieriger zu untersuchen sind als zum Beispiel von Labortieren: „Weil die DNA-Mengen meist sehr gering sind, Sonnenlicht und Feuchtigkeit die DNA zudem rasch zersetzen.“

Bei uns? Wo denn? In Europa? In Deutschland? In den Bergen oder an der Küste…?

Hier wäre es angebracht, jemanden zu fragen, der sich damit auskennt, oder aber als Antwortender die einschlägige Literatur zu studieren, bevor dieser solche Fragen beantwortet. So kritisiert der Interviewte „Beim Thema Wolf erlebe ich zum ersten Mal, wie wissenschaftlich erhobene Daten in öffentlichen Debatten bewusst ignoriert und wissenschaftlich arbeitende Institutionen diffamiert werden. Das ist schon erschreckend.“ Recht hat er, hier auf einer gänzlich anderen Ebene und es drängt sich die Frage auf, ob er nur von seinen eigenen Untersuchungen spricht:

Als Forensiker fragt man sich, wie ignoriert werden kann, dass Sonnenlicht DNA-Moleküle zwar schädigen mag, dies aber tatsächlich nur in einem Ausmaß stattfindet, der für die anschließenden Untersuchungen nahezu irrelevant ist. In der Forensik werden DNA-Fragmente in der Größenordnung um 100 bp (Basenpaaren) untersucht. Diese bleiben unter günstigen Bedingungen tausende von Jahren erhalten. Wie sonst auch kann man sich allein die Erfolge bei der Bearbeitung sogenannter „cold cases“ erklären, wo Fälle nach 20 oder 30 Jahren mittels molekulargenetischer, forensischer Untersuchungen aufgeklärt werden? Oder warum sammeln Spurentechniker der Polizei an einer nach Tagen im Wald gefunden Leiche Proben ein, wenn dies überhaupt keine Erfolgsaussichten hätte? Hier empfiehlt sich das Studium sogenannter Fachliteratur. In Zeitschriften wie Forensic Science International Genetics oder International Journal of Legal Medicine würde man zahlreiche Artikel finden, die aufzeigen, dass DNA Moleküle kaum zu zerstören sind, dass nicht einmal konzentrierte und direkte UV-Strahlung die Analyse unmöglich macht, dass Wäsche mit Blutspuren oder anderen Körperflüssigkeiten befleckt auch nach mehreren Waschgängen in der Waschmaschine noch genügend Spuren für eine erfolgreiche DNA-Analyse erhalten kann oder dass Kleidungsstücke auswertbare Spuren enthalten auch wenn sie nach einiger Zeit aus einem Teich oder einem Fluss gezogen werden…

Über all das müsste man sich nicht sonderlich ärgern oder aufregen, wenn es keine Konsequenzen hätte. Wenn aber einem Nutztierhalter gesagt wird, dass der Wolfsberater zur Spurensicherung nicht mehr kommt, weil es sich aufgrund des schönen Sonnenscheins oder der Tatsache, dass das tote und möglicherweise von einem Wolf gerissene Tier schon länger als 24 Stunden im Freien liegt, nicht mehr lohnt, dann muss dieses mangelnde Wissen thematisiert werden. Hier darf nicht die Konsequenz für den Tierhalter vergessen werden, dem dadurch jegliche Möglichkeit einer Entschädigung genommen wird.

Noch entscheidender ist es für etwaige zukünftige Fälle mit menschlicher Beteiligung. Bei jedem normalen forensischen Gutachten (Zuordnung einer Spur zu einem Täter) müssen zahlreiche Bedingungen und Qualitätskriterien eingehalten werden; nicht einmal ein simples Abstammungsgutachten darf ein nicht überprüftes Labor in Deutschland durchführen. Die Frage aber, ob tatsächlich ein Wolf einen Menschen angreift, wird von nicht speziell ausgebildeten Labormitarbeitern beantwortet? Im eingangs beschriebenen Fall des möglicherweise von einem Wolf verletzten Gemeindemitarbeiters ist nicht einmal die Beweiskette eingehalten. Völlig unabhängig vom Ergebnis (Wolf, Hund etc.) dürfte dieses in keiner Weise eine offizielle Konsequenz nach sich ziehen.

Es ist gut, dass es für alles Experten gibt und Wolfsmonitoring ist unter Gesichtspunkten des Artenschutzes eine wichtige und zu begrüßende Maßnahme. Forensische Untersuchungen aber sind eine völlig andere Sache und daher ist der Anspruch in Deutschland an ein Labor, das forensische Proben untersucht, zu Recht hoch. Wir haben in Deutschland einen hohen Standard im Bereich der Rechtsmedizin und der Forensik, auf den wir zu Recht stolz sein können. Diesen hohen Anspruch sollten wir nicht gefährden und entsprechend forensische Untersuchungen nur von ausgebildetem Fachpersonal in entsprechenden Laboren durchführen lassen.

Ein bisschen mehr hätten wir diesbezüglich den Mitarbeitern des Spiegels schon zugetraut.

Euer heute sehr sehr verärgertes

ForGen-Team

ForGen (beinahe) sprachlos: Wildtierforscher und Forensiker?